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Un-Ordnung durch Interessenorganisationen?

F. A. von Hayeks Kritik kollektiverAkteure

Dorothee Wolf

174 Seiten, UKB 7 €

InhaltsverzeichnisKlappentextAus dem FazitAutorinRezension M. TullneyRezension T. JovicicRezension G. FülberthBezug

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Methodologisches Vorgehen
1.2 Aufbau

2. Grundlagen

2.1 Dogmengeschichtliche Einordnung Hayeks
2.2 Theoretische Grundbegriffe dieser Arbeit

3. Spontane Ordnung und Informationsakquirierung

3.1 Die spontane Ordnung

3.1.1 Struktur und Wirkungsweise
3.1.2 Technische Leistungsfähigkeit
3.1.3 Normative Überlegenheit
3.1.4 ›Gruppen‹ in der spontanen Ordnung

3.2 Zur Problematik des Begriffs der spontanen Ordnung
3.3 Kumulative Staatsintervention
3.4 Resümee

4. Gemeinwohldenken und Gerechtigkeit

4.1 Zur Gerechtigkeit von Verteilungen
4.2 Der Beitrag der Katallaxie zur Interessenbefriedigung

4.2.1 Produktionsleistungen der Katallaxie
4.2.2 Negative Effekte des Gruppenhandelns

4.3 Hayeks Befangenheit im Gemeinwohldenken
4.4 Zur Problematik von Wachstum und Effizienz

4.4.1 Hayeks Effizienzbegriff
4.4.2 Wettbewerbsnachteile und Marktversagen
4.4.3 Wachstum und Anpassung

4.5 Resümee

5. Zwangsgewalt

5.1 Zwang ausübende Akteure
5.2 Begriffswahl nach politischem Belieben
5.3 Exkurs: Ein tragfähigeres Konzept

6. Was bleibt?

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Klappentext

Gewerkschaften und Bauernverbände, stets mit dem vagen Zusatz »und andere Gruppen« versehen, stehen im Vordergrund dessen, was bei Friedrich August von Hayek als gesellschaftstheoretisches Denken ausgemacht werden kann. Sein Urteil über diese kollektiven Akteure ist typisch für den Neoliberalismus: Ihr Handeln wirke sich in mehrerlei Hinsicht negativ aus, weshalb sie zu marginalisieren und nach Möglichkeit abzuschaffen seien.

Bei näherem Hinsehen erweist sich Hayeks Argumentation jedoch als lückenhaft, so dass es mehrfach erforderlich wird, sie theorieimmanent zu vervollständigen. Auch dies reicht allerdings nicht aus, um seine ablehnende Haltung und seine scharfe Polemik gegenüber politischen Akteuren theoretisch zu fundieren.

So entpuppt sich Hayek, was den sozialwissenschaftlichen Aspekt seines Denkens angeht, als Propagandist statt als Theoretiker. Auf der Basis einer um Inkonsistenzen bereinigten Lesart lassen sich aus seinem Theoriegebäude sogar Argumente entwickeln, die für die Existenz und das Agieren von Interessenorganisationen sprechen.

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Aus dem Fazit

Wird Hayeks Theorie, wie hier geschehen, einer immanenten Kritik unterzogen und um Inkonsistenzen bereinigt, so erscheinen pressure groups innerhalb seiner Theorie nicht mehr als gemeinwohlschädlich. Hayeks Vorbehalte sind also politisch motiviert und lassen sich nicht theoretisch herleiten.

Lediglich im Unterkapitel 4.4 dieser Arbeit habe ich, um Kritik zu üben, das Fundament seiner Theorie verlassen und aufgezeigt, dass Hayek einen Wachstums- bzw. Effizienzbegriff benutzt, der verengt ist und auf einer außergesellschaftlichen Festlegung dessen beruht, was als ›gut‹ verstanden wird. Soll dieser begriffliche Rahmen durch ein tragfähigeres Konzept ersetzt werden, so ist zunächst festzuhalten, dass gesellschaftliche Interaktion immer durch Institutionen geordnet wird. Das Resultat der interaktiven Individualhandlungen hängt von diesem institutionellen Umfeld ab und wird je nach dessen Gestalt verschieden ausfallen. Welches Institutionengefüge nun erwünschte Ergebnisse -- in Hayeks Terminologie: ›Wachstum‹ -- hervorbringt, ist eine innergesellschaftliche Entscheidung. Bei diesem Entscheidungsprozess werden die Einzelinteressen jeweils in dem Ausmaß berücksichtigt, das der Macht der Akteure entspricht, von welchen sie vertreten werden. Die Bildung kollektiver Akteure bringt eine Machterhöhung für deren Mitglieder. Eine solche Machtverschiebung ändert aber nichts an der Tatsache, dass Politische Steuerung -- als Transformation von Institutionen -- stattfindet. Angesichts der strukturell hohen Macht von Unternehmen, die aus modernen Gesellschaften nicht wegzudenken sind, können andere Organisationen dazu dienen, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren. Vor dem Hintergrund eines reformulierten Effizienzbegriffs können Gewerkschaften daher als effizienzsteigernd angesehen werden.

Nach Aufgabe eines exogen gesetzten Gemeinwohls lassen sich über Hayek hinaus positive Auswirkungen des Handelns von Interessengruppen theoretisch herleiten. Aus dieser Perspektive erweisen sich kollektive Akteure als Kräfte, die den institutionellen, insbesondere den technischen Wandel vorantreiben und steuern. Wird Hayeks Erkenntnis, es gebe kein Gemeinwohl, ernst genommen, so besteht der m.E. einzig mögliche Maßstab, nach dem Institutionen normativ beurteilt werden können, in ihrer Übereinstimmung mit den Individualinteressen. Indem pressure groups die Möglichkeiten der Mitsprache für ihre Mitglieder verbessern, erhöhen sie eine solche Übereinstimmung, und ihre Wirkung kann insofern als demokratisierend charakterisiert werden.

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Über die Autorin

Dorothee Wolf: geb. 1974, Politologin und Germanistin (Erste Staatsprüfung), Mitglied der Forschungsgruppe Politische Ökonomie am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. Arbeitsgebiete: Rational-Choice-Theorie, Geschlechterverhältnis, Marxistische Theorien, Gewerkschaftliche Bildungsarbeit.

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Rezension "Alles Propaganda. Hayek und die Gewerkschaften" von Marco Tullney

erschienen in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 44/2000, 11. Jahrgang, S. 193-196

Die Diskussionen über die Grundsätze staatlichen Handelns sind spätestens seit Beginn der Neunziger Jahre von einer Sachzwanglogik beherrscht, die jeglichen Theorieansatz neben dem Neoliberalismus verwirft. Unter denen, die diese Theorie entwickelt haben, ist Friedrich August von Hayek (1899-1992) einer der bedeutendsten, weil wirkungsmächtigsten. Seine programmatischen Aussagen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Argumentationslinien der VerteidigerInnen des freien Marktes. Anders, als sonst in der Wirtschaftstheorie (auch unter Hayeks AnhängerInnen) üblich, blendet Hayek jedoch den Aspekt des Sozialen in Gestalt von Institutionen wie Märkten, Geld und Eigentum nicht aus, sondern stellt die soziale Eingebundenheit ökonomischer Handlungen in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Daher kann er als »Politischer Ökonom« verstanden werden (10) und beansprucht zu Recht, Sozialtheoretiker zu sein. Mit der Fragestellung nach der Rolle kollektiver Akteure in seiner Theorie wird dieser Anspruch durch die Autorin ernst genommen.

Wolf legt zunächst das Konzept der "Spontanen Ordnung" dar: Im Rahmen abstrakter Regeln, die keine bestimmten Handlungen vorschreiben, interagieren individuelle und kollektive Akteure zum wechselseitigen Vorteil. Von der Spontanen Ordnung ausgehend, rekonstruiert sie drei Argumentationslinien gegen ›Gruppen‹, die sich bei Hayek selbst nicht so wiederfinden, die sich ihr zufolge aber ergeben, versucht man im Rahmen seines Theoriekonzepts Gründe für die Ablehnung von Interessenorganisationen anzugeben. Hier wie an anderen Stellen zeigt sich Wolfs Methode, theoretische Lücken zu füllen, indem sie Hayeks Gedanken rekonstruiert und konsequent weiterführt. Aus dem Konzept der Spontanen Ordnung entwickelt die Autorin, dass Gruppen, zu denken ist hier an Gewerkschaften oder Berufsorganisationen wie Bauernverbände, aus Hayeks Sicht die Spontaneität störten. Sie artikulierten interessengeleitete Vorstellungen, wie Institutionen gestaltet sein sollten, damit sie ihnen am meisten nützen. Damit verhinderten sie die spontane Entstehung von Regeln, die laut Hayek der geplanten überlegen ist. Aber noch in einer zweiten Hinsicht beeinträchtigten solche Interventionen die Spontaneität: Von den Gruppen wird nämlich die Festlegung einzelner Preise (durch Subventionierung oder Lohnerhöhung) gefordert, wodurch Folgeinterventionen nötig würden und die Spontaneität des Wirtschaftsgeschehens schließlich durch zentrale Lenkung ersetzt werden müsse.

Ein zweiter Grund, Interessengruppen abzulehnen, besteht in der durch sie verursachten Effizienzminderung. Da aus divergierenden individuellen Präferenzen keine als ›gerecht‹ zu bezeichnende Güterverteilung aggregiert werden könne, ist das Gemeinwohl nach Hayek im Erhalt der Ordnung selbst zu sehen. Sofern diese nicht (durch Gruppenhandeln) gestört werde, ergäben sich keine Benachteiligungen einzelner. Zudem finde bei freiem Spiel der Marktkräfte maximales Wirtschaftswachstum statt, wodurch das langfristige Wohlergehen aller gesteigert werde. Das dritte und letzte Argument besteht darin, Gruppen übten Zwang aus, z. B. indem Gewerkschaften für höhere Löhne kämpfen oder Arbeitende zum Eintritt nötigen.

Wolf weist darauf hin, dass diese Argumente sich nicht als tragfähig erweisen, und zwar vorwiegend aus theorieimmanenten Gründen. Sie setzt sich zunächst mit dem Ordnungskonzept Hayeks eingehend auseinander und kommt zu dem Ergebnis, Hayek trenne zwei verschiedene Phänomene nicht deutlich: Einerseits verstehe er unter einer Ordnung den geregelten Ablauf von Interaktionen, etwa den Handel mit Waren. Zum anderen nenne er -- weniger häufig -- auch Beispiele, die sich auf das Regelwerk beziehen, das solchen Interaktionen zu Grunde liegt, in diesem Fall also Eigentums- und Vertragsrecht. Diese Vermischung von Kategorien ermögliche es Hayek, neben der Abstraktheit auch die ungeplante Entstehung von Regeln einzufordern, damit die resultierende Ordnung spontan ist. Wolf schlägt eine präzisierte Definition des Ordnungsbegriffs vor und weist nach, dass diese nicht nur Hayeks eigener Anwendung seiner Theorie näher kommt, sondern an einigen Stellen auch von ihm selbst so formuliert und verwendet wird (vgl. 76-79). Der These von der kumulativen Staatsintervention hält Wolf entgegen, dass für die Reaktion eines offenen Systems auf externe Eingriffe vier Möglichkeiten bestünden, von denen nur eine zur Schließung des Systems führe. Bei Einbezug der Möglichkeit innovativen Handelns der Marktakteure -- das von Hayek sonst auch nicht ausgeschlossen wird -- sei dieser Fall aber nicht wahrscheinlich (vgl. 85-88).
Wolf beschäftigt sich nun mit dem Gemeinwohlargument und wendet die von Hayek vorgeführte Argumentation auf seine eigene These an. Das Ergebnis lautet: Eine Anzahl von Individuen, die verschiedene abstrakte Werte vorziehen, kann sich nicht einigen, welchem der Vorrang gewährt werden soll. Daher könne Hayek den von ihm proklamierten Freiheitsbegriff nicht normativ als höchsten, von allen geteilten Wert fundieren. Stattdessen, so Wolf, verankere er ihn in seinem Menschenbild und arbeite insofern essentialistisch (vgl. 127). Auch Hayeks Begriff von Effizienz sei nicht aus den Bewertungen der Gesellschaftsmitglieder abgeleitet, sondern Hayek gehe von einer externen Setzung dessen aus, was unter ›Wachstum‹ zu verstehen sei. Im Fazit führt Wolf diesen Gedanken weiter und schlägt eine innergesellschaftliche, konfliktäre Festlegung dessen vor, welche Gütermengen und -verteilungen erwünscht sind. Da eine solche Festlegung aber immer von der Interessen- und Machtverteilung unter den gesellschaftlichen Akteuren abhänge, trügen Interessenorganisationen sogar dazu bei, eine größere Übereinstimmung zwischen individuellen Interessen und gesellschaftlichen Zielen herzustellen, und wirkten daher »demokratisierend« (154).

Die Auseinandersetzung mit Hayeks drittem Vorbehalt, der Ausübung von Zwang, führt in eine eingehende Sprachanalyse. Wolf kommt zu dem Ergebnis, Hayek verwende den Terminus ›Zwang‹ ungenau und bezeichne schlicht jene Handlungen als Zwang, die ihm missfielen (vgl. 142). Diese Einschätzung leitet Wolf aus einer Gegenüberstellung von Handlungen und Strukturen von Unternehmen, Regierung und Gewerkschaften her. Qualitativ sei jedoch kein Unterschied auszumachen, der eine verschiedene begriffliche Behandlung rechtfertige. Hayeks Gebrauch des Zwangsbegriffs beruht also auf Willkür.

Insgesamt sind Hayeks Argumentationen (zumindest in dem hier untersuchten Bereich seines Denkens) "weniger theoriegeleitet [denn] als Reflex seiner politischen Ansichten" (150). Dies ist sicherlich kein überraschendes Ergebnis. So stellt sich die Frage, was die theorieimmanente Beschäftigung mit Hayek leisten soll und kann. Während eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Hayek häufig bereits an bedingungsloser Zustimmung und Jubel bzw. an vorweggenommener Ablehnung scheitert, zeichnet Wolf sorgfältig Argumentationsstränge nach und weist auf deren Lücken hin. Diese Lücken kann sie zu einer Existenzberechtigung von Interessenorganisationen schließen. Gewerkschaften können also sehr wohl eine Verbesserung der Lage ihrer Mitglieder herbeiführen, ohne das System zu destabilisieren (was sie sehr beruhigen dürfte, denn eine Destabilisierung des Systems war noch nie Ziel des DGB).

Aber auch ein zweiter Punkt in diesem Buch ist bemerkenswert und für eine (linke) Auseinandersetzung mit Hayek untypisch: Bei der systematischen Durchsicht der Grundlagen der Hayekschen Theorie weist Wolf auf Theorieelemente hin, die durchaus brauchbar seien. In erster Linie handelt es sich dabei um die Überlegenheit einer spontanen Ordnung in Bezug auf die Nutzung des verteilten Wissens und um die These von der Nicht-Existenz eines Gemeinwohls.

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Rezension von Timo Jovicic

erschienen in: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, Heft 4/2000

Der Neoliberale Friedrich August von Hayek, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, wäre im Mai letzten Jahres 100 Jahre alt geworden. Der Ehrungen waren viele. Die vorliegende Arbeit setzt sich kritisch mit seiner Theorie auseinander und beleuchtet einen politisch brisanten, aber kaum diskutierten Aspekt derselben: Hayeks -- erwartungsgemäß ablehnende -- Haltung gegenüber Interessenorganisationen, in erster Linie Gewerkschaften und Bauernverbände. Wolf referiert zunächst Grundbegriffe aus neueren institutionalistischen und individualistischen Theorieansätzen, die sie für kompatibel mit Hayeks Denken hält und für die Darstellung verwenden will. Nach einer transaktionskostentheoretisch gefärbten Darstellung des Hayekschen Ordnungskonzepts entwickelt sie hieraus drei Argumentationslinien, mit denen sich seine Antipathie gegenüber kollektiven Akteuren theorieimmanent begründen ließe -- was er selbst nicht mit vergleichbarer Präzision unternimmt (65). Das wesentliche Argument Hayeks lautet, die spontane Ordnung des Marktes (also die Interaktionen zu wechselseitigem Vorteil) werde durch kollektive Akteure zerstört. Erstens dadurch, dass bewusste Planung an die Stelle nicht-intentionaler Regelentstehung tritt. Zweitens, so Hayek im Anschluss an Mises, wird durch kumulative Staatsintervention die spontane Ordnung in eine konstruierte überführt (66ff.), die er als weniger leistungsfähig betrachtet.

Wolf weist auf eine Inkonsistenz in Hayeks Begriff der spontanen Ordnung hin: Als >Ordnung< werden gleichermaßen so unterschiedliche Phänomene wie Regelwerke und Interaktionen innerhalb von Regeln gefasst, was Probleme für den Spontaneitätsbegriff nach sich zieht. Anhand der von Hayek gewählten Untersuchungsgegenstände entscheidet sich Wolf für eine Lesart des Ordnungsbegriffs, nach der ungeplante Interaktionen innerhalb geplanter Regeln immer noch eine spontane Ordnung darstellen (73ff.). Auch durch bewusst entworfene Institutionen kann demnach eine spontane Ordnung festgelegt werden, sofern die Regeln im Hayekschen Sinne >abstrakt< sind, also keinem spezifischen Akteur eine bestimmte Handlung vorschreiben. Damit erweist sich aber das Streben von Interessenorganisationen nach Gestaltung der Institutionen nicht als spontaneitätshemmend. Zum anderen begründet Wolf unter Verweis auf Arbeiten von Gerhard Wegner, dass das offene System Markt auf Interventionen keineswegs mit dem Übergang in eine konstruierte Ordnung reagieren muss. Innovatives Handeln der Akteure ist möglich und wird in Hayeks Konzept an anderen Stellen auch einbezogen (86f).

Hayeks zweites Argument besteht in der vermeintlichen Wohlfahrtsminderung durch Eingriffe ins Marktgeschehen. Wolf zeigt, dass er dies nicht ohne Rückgriff auf die neoklassische Transformationskurve begründen kann, wobei er aber selbst beansprucht, eine Gegenkonzeption zum Gleichgewicht der Neoklassik zu liefern. Außerdem, so Wolf, arbeitet Hayek mit einem außergesellschaftlich festgelegten Effizienz- bzw. Wachstumsbegriff, den er zudem aufgrund der Arrowschen Beweisführung -- die er sich selbst zu eigen macht -- nicht als gerecht bezeichnen bzw. mit einem Gemeinwohl identifizieren kann. Als drittes Argument eruiert Wolf bei Hayek die Behauptung, Gewerkschaften übten Zwang aus, was im Widerspruch zum liberalen Freiheitsideal stehe. Durch eine Gegenüberstellung mit andern kollektiven Akteuren, denen er diesen Vorwurf nicht macht (v. a. Unternehmen und die Regierung) kommt sie zu dem Ergebnis, Hayek wähle seine >Begriff[e] nach politischem Belieben< (135) und dieser Zwangsbegriff sei für eine sozialwissenschaftliche Theorie nicht erkenntnisfördernd.

Damit hat die Autorin Hayeks Ablehnung politischer Interessenorganisationen theorieimmanent und überzeugend widerlegt. Insgesamt scheint der Hinweis auf Essentialismen wie die Implementierung seines Freiheitsideals als Grundbedürfnis im Menschenbild (114) eine entscheidende Kritik an seiner normativen Konzeption zu begründen. Noch wichtiger ist jedoch Wolfs Reformulierung des Begriffs der spontanen Ordnung, die in dieser Schärfe noch nicht vorgenommen wurde. Mit der Behauptung, auf der Grundlage Hayeks ließe sich sogar herleiten, dass Gewerkschaften und Interessenorganisationen >demokratisierend< wirken und die Effizienz erhöhen (154), verlässt die Autorin allerdings dessen Bezugsrahmen. Innerhalb Hayeks Theorie lässt sich nur konstatieren, dass er in Bezug auf kollektive Akteure ausschließlich politisch und nicht theoretisch argumentiert. Es mag eingewendet werden, kollektive Akteure stünden nicht im Vordergrund von Hayeks Theorie, weshalb Wolfs Kritik nur ein randständiges Phänomen treffe. Jedoch hat sie aufgezeigt, dass der Sozialtheoretiker Hayek keine Skrupel hat, unzureichend Fundiertes zu behaupten, und dass sich die Marginalisierung von Gewerkschaften so nicht begründen lässt.

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Rezension "Hayeks Eigentor" von Georg Fülberth

erschienen in: junge Welt Nr. 235, 9. Oktober 2000, S. 12

Doch, das gibt es auch: erfolgreiche und glückliche Intellektuelle, die sich am Ende ihrer Tage hochzufrieden in den Sarg legen, weil sie wissen, daß sich die Welt durchaus nach ihren Vorstellungen dreht.

Einer von ihnen war der Ökonom Friedrich August von Hayek (1899-1992).

Er wurde in Wien geboren und geriet früh unter den Einfluß Ludwig von Mises´, eines der Begründer des Neoliberalismus. Von 1927 bis 1931 leitete Hayek das von seinem Lehrer gegründete Österreichische Institut für Konjunkturforschung.

1931 übernahm er eine Professur für Nationalökonomie und Statistik an der London School of Economics. 1938 wurde er britischer Staatsbürger. Von 1950 bis 1962 war er Professor für Sozialwissenschaften und Ethik in Chicago, von 1962 bis zu seiner Emeritierung Ordinarius für Volkswirtschaftslehre in Freiburg. 1974 erhielt er -- zusammen mit Gunnar Myrdal -- den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

Hayek hat sein ganzes wissenschaftliches und politisches Leben dem Kampf gegen den Sozialismus gewidmet. Er selbst nannte sich zutreffend einen Liberalen. Er wurde der Hauptvertreter des Neoliberalismus, der sich als Korrektur einer angeblichen schleichenden Sozialisierung in den kapitalistischen Gesellschaften begreift.

1935 gab Hayek einen Band mit dem Titel "Collectivist Economic Planning" heraus. Hier stellte er die Frage, welche Wirtschaftsordnung -- Privatwirtschaft oder Sozialismus -- effizienter sei, indem sie eine Preisbildung zuwegebringt, welche die Märkte räumt, Nachfrage schnell bedient und Vergeudung vermeidet. Hayek wußte auch schon die Antwort: dies gelinge nur durch Angebot und Nachfrage auf der Basis des Privateigentums.

Die Sozialisten reagierten auf seinen Vorstoß merkwürdig verlegen, mit einer Ausnahme: der polnische Ökonom Oskar Lange unterzog Hayeks Argumente einer eingehenden Prüfung, machte überraschende Zugeständnisse und endete mit einem offensiven Ausfall. Auch er hielt eine Marktwirtschaft für notwendig. Diese aber könne der Sozialismus viel eher verwirklichen als der Kapitalismus, denn letzterer habe eine Tendenz zum Monopol und damit zur Ausschaltung des Wettbewerbs.

Nun war es an Hayek, Zugeständnisse zu machen. Er räumte ein, daß auch im Sozialismus eine marktwirtschaftliche Preisbildung möglich sei. Zugleich aber wechselte er die Ebene der Auseinandersetzung. In puncto Innovation bleibe der Kapitalismus überlegen. Diese komme nur durch Konkurrenz von Privateigentümern zustande. "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" -- mit diesem Vortragstitel von 1969 faßte Hayek seine These in eine schlagkräftige Parole. Er setzte sich damit auch von der Neoklassik ab: nicht um Gleichgewicht gehe es, sondern um Dynamik.

Die zentrale gesellschaftliche Tatsache für Hayek ist das Individuum. Auf dieses bezieht er seine höchste Norm: Freiheit als Abwesenheit von Zwang. Sie werde durch gesellschaftliche Organisationen bedroht. Aufgabe des Staates sei es, die Herrschaft der Gesetze zu gewähren, welche ihrerseits sich auf die Sicherung der Freiheit beschränken müssen.

Die fundamentale Einfachheit dieser Ausstattung setzte Hayek hervorragend instand, nicht nur als Theoretiker aufzutreten, sondern auch als politischer Fighter. 1944 veröffentlichte er die Kampfschrift "Der Weg zur Knechtschaft". Die Gefahr des Kollektivismus sah er nicht nur im Faschismus und Bolschewismus -- diese tauchen sogar nur am Rande auf -, sondern in der sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Durchstaatlichung gerade der sich offiziell noch als liberal verstehenden Gesellschaften. Churchill machte diese Thesen zur Grundlage seines Wahlprogramms 1945 und verlor. In der Folgezeit stilisierte Hayek sich als Prediger in der Wüste, der heroisch für eine Minderheit den Widerstand organisiere. 1947 war er führend an der Gründung der "Mont-Pèlerin-Gesellschaft" beteiligt: eines informellen Zusammenschlusses liberaler Ideologen, zu welcher auch die Berater des späteren westdeutschen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard gehörten. Einen Finanzier fand Hayek in dem britischen Brathähnchen-König Anthony Fisher, der einen Teil seines Vermögens in Think Tanks steckte.

Während in den sechziger Jahren der Keynesianismus die dominante Praxis war, besetzten die Mont-Pèlerin-Leute weltweit wichtige Lehrstühle. Aber ihr Ehrgeiz ging weiter. Sie beklagten, daß z.B. auch die Konservative Partei in Großbritannien seit den fünfziger Jahren sich dem wohlfahrtsstaatlichen Konsens angeschlossen hatte. Hier setzten Hayek und seine Leute den Hebel an. Es war eine harte Arbeit, aber schließlich fanden sie in Margret Thatcher eine gelehrige und resolute Schülerin.

Eric Hobsbawm hat Hayeks Lehre als eine Art Theologie bezeichnet. Sie gebe nicht eine Realität wieder, sondern nur einen rabiaten Glauben. Allerdings sind auch die bisherigen Reaktionen auf Hayek irgendwie pfäffisch. In den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten wird er kritiklos angebetet, Keynesianer und viele Gewerkschafter bekreuzigen sich, wenn sie seinen Namen hören. Für Marxisten ist er eine Art Papst des Antikommunismus, sonst nichts.

Nun aber ist eine kleine Schrift erschienen, in der in Sachen Hayek endlich einmal etwas Neues versucht wird: immanente Kritik. Die Verfasserin, Dorothee Wolf, redet Marxisten und Keynesianern keineswegs nach dem Mund. Im Gegenteil: sie argumentiert auf derselben theoretischen Grundlage wie Hayek -- mit dem sogenannten "Methodologischen Individualismus". Allerdings kann sie nachweisen, daß der Professor jahrzehntelang auf dieser seiner Entdeckung sitzengeblieben ist und wichtige Weiterentwicklungen entweder verschlafen oder souverän ignoriert hat: zum Beispiel die Rational-Choice-Theorie und die Institutionen-Ökonomik. So kann er sich letztlich selbst nicht genügend verstehen und gerät in peinliche Widersprüche.

Zum Beispiel:

Wenn ein Individuum sich einer Organisation anschließt oder gar sich an der Gründung einer solchen beteiligt, weil es sich davon einen Vorteil verspricht, dann nimmt es eine rationale Wahlhandlung vor und macht Gebrauch von der Freiheit, so etwas zu tun oder zu lassen. Gemäß seiner eigenen Theorie dürfte Hayek nichts dagegen haben. Zugleich aber lehnt er Organisationen ab, da sie Zwang ausübten. Der Staat müsse die Individuen vor ihnen schützen. Wenn diese aber die Vertretung ihrer Interessen gerade durch ihre Organisationen gewährleistet sehen -- was dann?

Hayek, der sich sonst so rigoros aufführt, hütet sich, seine Organisationsfeindschaft zu weit zu treiben. Er richtet sie letztlich nur gegen Gewerkschaften und Bauernverbände. Nun ist ein Unternehmen aber ebenfalls eine Organisation. Hierzu schweigt er. Man könnte vermuten, daß er nicht Vereinigungen schlechthin ablehnt, sondern nur Interessenverbände und Pressure-Groups. Doch weit gefehlt. Gegen Arbeitgeberverbände findet sich bei ihm nichts.

Wäre Hayek konsequent, müßte er sich für eine von zwei Lösungen entscheiden:

Erstens: Entweder er lehnt alle Organisationen ab.

Zweitens: Oder er akzeptiert sie ausnahmslos, soweit sie auf freier Willensentscheidung ihrer Mitglieder beruhen.

In seinen letzten Jahren neigte er in manchen Punkten der ersten Variante zu. Zum Beispiel lehnte er da sogar die nationalen Notenbanken ab: Die freien Individuen sollten selbst befinden, was sie als Geld akzeptieren wollten oder nicht. Aber tabula rasa wollte er doch nicht machen: Gewerkschaften nein -- Unternehmerverbände ja danke.

Dorothee Wolf rät dagegen zur Konsequenz, und zwar zugunsten der zweiten Variante: Wenn schon Pressure-Groups erlaubt sein sollen, dann alle. Hayeks Einäugigkeit zeige, daß er letztlich weniger ein Theoretiker, sondern eher ein Propagandist gewesen ist. Wer "Die Verfassung der Freiheit" (so der Titel eines seiner Werke) fordert, wird vor der universellen Organisationsfreiheit nicht Halt machen dürfen. Dabei kommt wahrscheinlich etwas Vernünftiges heraus. Kriterium für den Nutzen und Nachteil einer Institution -- so findet die Verfasserin -- ist "ihre Übereinstimmung mit den Individualinteressen. Indem pressure groups die Möglichkeiten der Mitsprache für ihre Mitglieder verbessern, erhöhen sie eine solche Übereinstimmung, und ihre Wirkung kann insofern als demokratisierend charakterisiert werden."

Hayek wurde fast 93 Jahre alt. Jetzt ist er aber tot. Das bedauere ich. Ich hätte ihm gewünscht, daß er diese Schrift noch hätte lesen können. Er hätte sich geärgert, und zwar deshalb, weil ihm nicht einfach ein fremder Standpunkt entgegengehalten, sondern weil stattdessen gezeigt wird, wie er auf seinen eigenen Denk-Geleisen havariert.

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Bezug

Der Band umfasst 174 Seiten und kann gegen einen Unkostenbeitrag von 7 € zuzüglich Porto (0,77 €) bei der Forschungsgruppe bezogen werden. Hier finden Sie unser Bestellformular...

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  WebbearbeiterIn, 11.02.2002 (erste Fassung: 10.02.2002) Zum SeitenanfangZur StartseiteE-Mail an die Forschungsgruppe