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Hilferding und Marx

Geld- und Kredittheorie in Rudolf Hilferdings "Das Finanzkapital" und im Marxschen "Kapital"

Kyung-Mi Kim

InhaltsverzeichnisVorwortAutorinRezension G. FülberthBezug

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Geldtheorie Hilferdings

II.1. Die Werttheorie Hilferdings als Grundlage seiner Geldtheorie
II.2. Die Methode Hilferdings
II.3. Wesen und Funktionen des Geldes
II.4. Die Papierwährung: Staatspapiergeld mit Zwangskurs und Banknotengeld

III. Die Kredittheorie Hilferdings

III.1. Formen und Funktionen des Kredits: Zirkulationskredit und Kapitalkredit
III.2. Zins und Zinsfuß
III.3. Das fiktive Kapital/Das Aktienkapital
III.4. Zwischenresümee

IV. Über Marx hinaus? Das Finanzkapital als neues Phänomen der kapitalistischen Entwicklung

V. Schlußfolgerungen

Literaturverzeichnis

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Aus Vorwort und Einleitung

In Hilferding, der sich bemühte, hinsichtlich neuer kapitalistischer Entwicklungen seiner Zeit, die von Marx nicht erfaßt worden waren oder die die Marxsche Theorie als falsch zu erweisen schienen, die Marxsche Theorie schöpferisch zu interpretieren und jene Entwicklungen ins Marxsche Theoriesystem einzureihen, sehe ich ein Ebenbild der heutigen Marxisten nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus. Die Früchte dieser Bemühungen werden nicht ergebnislos verfaulen, auch wenn sie äußerlich unansehnlich werden sollten, nur weil sie nicht mehr dem Geschmack der Zeit entsprechen. Die Samen, die sie enthalten, werden am Ufer des langen in Mäandern verlaufenden Stroms der Geschichte wieder neue Bäume der Erkenntnis hervorbringen. Die Wissenschaftstheorie hat gezeigt, daß überholt geglaubte Theorien, die nicht dem sogennanten Zeitgeist entsprachen, oft erst in späteren Zeiten die ihnen zukommende Bedeutung zugemessen wurde.

Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch, die von den bisherigen Untersuchungen über Hilferdings Geld- und Kredittheorie offengelassene Lücke zu füllen. Im Kapitel II und III wird die Hilferdingsche Geld- und Kredittheorie einerseits im Vergleich zur Marxschen Theorie und unter der Fragestellung, warum Hilferding seine Theorie anders als Marx zu systematisieren versucht, überprüft. Andererseits wird im Lichte der heutigen Diskussion über die Marxsche Geld- und Kredittheorie eine Neubewertung versucht. Dies ermöglicht, auf die Frage zu antworten, ob die Kategorie 'Finanzkapital' bei Hilferding eine zwangsläufige Folgerung ist, die aus der Marxschen Geld- und Kredittheorie abgeleitet wird. Im Kapitel IV wird aufgrund der Untersuchung im Kapitel II und III Hilferdings Auffassung des Finanzkapitals, die über die Marxsche Analyse der kapitalistischen Entwicklung im "Kapital" hinausgeht, behandelt. Zum Schluß wird die Frage in Erwägung gezogen, ob die Kategorie 'Finanzkapital' Hilferdings eine unvermeidliche Konsequenz seiner Geld- und Kredittheorie ist.

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Über die Autorin

Kyung-Mi Kim promovierte mit obiger Arbeit 1998 am Insitut für Politikwissenschaft der Universität in Marburg zur Dr. phil. Sie ist Lehrbeauftragte an der Sogang Universität in Seoul und an der Gang-Uon Universität in Tschuntschon (Korea) und hält weiterhin Kontakte zur Forschungsgruppe Politische Ökonomie, bei der sie vorher aktiv mitgearbeitet hat.

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Rezension "Lenins Kinderarzt" von Georg Fülberth

erschienen in: junge Welt Nr. 297 vom 20.12.1999, Seite 12

Beginnen wir mit einem Zitat:

»In dem gewaltigen Zusammenprall der feindlichen Interessen schlägt schließlich die Diktatur der Kapitalmagnaten um in die Dikatur des Proletariats.«

Wer schrieb das? Marx -- Engels -- Lenin -- Stalin -- Thälmann -- Pieck? Nein. Es handelt sich um den letzten Satz des Buches "Das Finanzkapital" von Rudolf Hilferding.

Der Autor, 1877 in Wien geboren, war von Beruf Kinderarzt. Die Theorie trieb er zunächst nur nebenbei. Ab 1906 war er in Berlin Mitarbeiter am wissenschaftlichen Zentralorgan der SPD, "Die Neue Zeit", und von 1907 bis 1915 Redakteur des "Vorwärts". 1910 -- da war er erst dreiunddreißig -- erschien "Das Finanzkapital", von den Zeitgenossen (und vielleicht ein bißchen auch von ihm selbst) immer wieder einmal als der "vierte Band des ´Kapital´" eingeschätzt.

Hier behandelt Hilferding ein Thema, von dem man bis dahin annahm, es sei von Marx im zweiten Buch seines Hauptwerks gleichsam als eine Art Nebensache entsorgt worden: die Zirkulation. Das einzige Problem aus diesem Band, welches man bis dahin ernster genommen hatte, waren die "Reproduktionsschemata", und um deren Bedeutung zu ermessen, mußte 1913 erst Rosa Luxemburg mit ihrem Werk "Die Akkumulation des Kapitals" kommen. Im übrigen aber: Zirkulation -- was sollte das schon im Vergleich zu der so viel wichtigeren Produktion?

Hilferding fand, daß man es sich nicht so leicht machen durfte. Etwas frech merkte er an, daß die marxistische Theorie seit 1895 -- Engels´ Todesjahr -- wohl ein bißchen gepennt habe. So habe man einige Hinweise im Marxschen "Kapital" übersehen, deren Ausarbeitung hätte helfen können, neue Entwicklungen besser zu verstehen. Dies galt zum Beispiel für die Aktiengesellschaften. Bei ihrer Analyse stieß Hilferding auf das Phänomen einer wundersamen Kapitalvermehrung: den "Gründergewinn".

Nehmen wir einmal an, ein Unternehmen habe ein Kapital von einer Million, und die Profitrate betrage 15 Prozent. Dann werden 150.000 Mark Dividende ausgeschüttet. Kleine Sparer haben natürlich nicht das Geld, um sich ein solches Unternehmen zu kaufen. Es reicht gerade mal für ein Sparbuch, das -- sagen wir mal und sehr großzügig gerechnet, es handelt sich um vergangene Zeiten: -- fünf Prozent abwirft. Eine andere Anlage wäre die Aktie. Sollen kleine Ersparnisse dort hingelenkt werden, muß ihnen eine Rendite geboten werden, die etwas höher ist als der übliche Zins. In unserem Beispiel nehmen wir an: sieben Prozent. Jetzt kommt ein stinknormaler Dreisatz: sieben Prozent sind 150.000 Mark, wieviel sind dann hundert Prozent? Richtig: 2.142.857,14 Mark. Das ist das "fiktive Kapital". Also werden Aktien für diesen Betrag emittiert. Würden die fünfzehn Prozent Profit von dieser Summe ausgezahlt, ergäbe das 321.428,57 Mark. Die Aktionäre erhalten aber nur das, was ihnen versprochen wurde, nämlich sieben Prozent, also 150.000 Mark. Ziehen wir sie von den 321.428,57 Mark ab, ergibt sich eine Differenz von 171.428,57 Mark, die im Unternehmen verbleiben. Das ist dessen "Gründergewinn".

Falls Sie das nicht auf Anhieb verstanden haben, probieren Sie es einfach mit Ihrem Taschenrechner. Sie können auch bei Hilferding im Original nachlesen. Der mußte noch mit Papier und Bleistift arbeiten.

Durch die Aktiengesellschaften kann viel mehr Geld zu Kapital mobilisiert werden als vorher. Die Emission der Anteile besorgen die Banken. Häufig haben sie das Geld vorgeschossen, werden dadurch zu Gläubigern (ich weiß schon, woran Sie jetzt denken) und sichern ihre Interessen durch Aufsichtsratssitze. Diese nehmen sie oft in mehreren Unternehmen gleichzeitig wahr. Das Geldkapital ist hochkonzentriert: zu Hilferdings Zeiten beherrschten sechs Berliner Großbanken das Geschäft. Durch ihren Einfluß auf die Produktion entstand das sogenannte Finanzkapital. Dies war also nicht auf die Geldinstitute beschränkt, im Gegenteil: es wurde dadurch charakterisiert, daß sie die Industrie beherrschten. In Hilferdings Worten:

"Ich nenne das Bankkapital, also Kapital in Geldform, das auf diese Weise in Wirklichkeit in industrielles Kapital verwandelt ist, das Finanzkapital."

Es organisiert die gesamte Wirtschaft eines Landes in einem "Generalkartell". Dieses hat ein Interesse daran, das Territorium, auf dem seine Monopole gelten, gegen ausländische Konkurrenz zu sichern. So erklärte Hilferding das für seine Zeitgenossen zunächst erstaunliche Phänomen, daß auf die Ära der Schutzzölle zwar zunächst Freihandel folgte, aber seit den siebziger Jahren durch einen neuen Protektionismus abgelöst wurde. Um diesen durchzusetzen, benötigten die finanzkapitalistischen Monopole den Staat, auf den sie zunehmend Einfluß suchten und gewannen. Sie brauchten ihn aber nicht nur zu gleichsam defensiven Zwecken. Zugleich versuchten sie die territoriale Erstreckung ihrer Monopolpreise auszuweiten. So entdeckte Hilferding die wirtschaftlichen Ursachen von Imperialismus und Kriegsgefahr.

Einerseits.

Andererseits sah er eine Möglichkeit, daß die Arbeiterbewegung die Hand auf die jetzt so leicht identifizierbaren ökonomischen Schalthebel legt:

"Die Besitzergreifung von sechs Berliner Banken würde ja heute schon die Besitzergreifung der wichtigsten Sphären der Großindustrie bedeuten, und in der Übergangszeit, solange kapitalistische Verrechnung sich noch als opportun erweist, die Politik des Sozialismus außerordentlich erleichtern."

Lenins Schrift "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus", geschrieben 1916, fußt auf der Theorie von Rudolf Hilferding und fügt ihr auf ökonomischem Gebiet nichts Wesentliches hinzu. Ihr Verfasser bekam dabei ein kleines politisches Problem:

Hilferding verhielt sich im Ersten Weltkrieg durchaus anständig. 1914 kritisierte er die Bewilligung der Kriegskredite. Aber anders als Lenin sah er nicht die Möglichkeit der Umwandlung des imperialistischen Krieges in Bürgerkrieg und Revolution und damit des organisatorischen Bruchs mit der alten Sozialdemokratie. Damit gehörte er zu einer starken Zwischenströmung in der internationalen sozialistischen Bewegung, die von den Bolschewiki scharf bekämpft wurde. Deren theoretischer Kopf war Karl Kautsky, ihre politische Heimat der sogenannte "Austromarxismus".

In seiner Imperialismusschrift nennt Lenin seinen wirtschaftstheoretischen Gewährsmann, läßt in dieser Zeit aber politisch kein gutes Haar an ihm. Unter anderem warf er ihm vor, daß er auf der Position eines unrevolutionären Nur-Pazifismus verharre. Auch ökonomisch versuchte er ihn zu korrigieren: Hilferding verbleibe mit seiner Analyse in der Zirkulation und vernachlässige die Produktion. Doch das, was Lenin als Weiterführung anbot, beschränkte sich letztlich -- betrachten wir es genau -- auf neue Phänomene des internationalen Vertriebs.

Hilferding schloß sich 1917 der USPD an. Auf deren Parteitag in Halle 1920 widersetzte er sich ihrem Anschluß an die KPD. 1922 ging er mit der Rest-USPD wieder zur SPD.

In der Weimarer Republik war er zweimal Finanzminister. Er hob jetzt ein wenig ab. Zum Beispiel sprach er nicht mehr vom Imperialismus, sondern vom "Organisierten Kapitalismus", der durch sozialdemokratische Parlamentsmehrheiten umdirigiert werden könne. Auf dem Kieler Parteitag der SPD 1927 schwor er seine Genossinnen und Genossen auf diese Perspektive ein. Doch die neue Regierung, der er seit 1928 wieder angehörte, koalierte mit der plutokratischen Deutschen Volkspartei und genehmigte den Bau eines Panzerkruzers, gegen den sie im Wahlkampf noch agitiert hatte. (Verwechseln Sie hier bitte nichts.)

Nach der Machtübertragung an Hitler 1933 floh Hilferding zunächst nach Dänemark, dann in die Schweiz, schließlich nach Frankreich. Er entwarf 1934 das "Prager Manifest" der deutschen Sozialdemokratie. Den Volksfrontbestrebungen seines Freundes Rudolf Breitscheid stand er ablehnend gegenüber. Mehr als die Ökonomie interessierte ihn jetzt die Wiedergewinnung der formalen Demokratie. Seine Äußerungen zum Faschismus knüpften kaum noch an seine alte Auffassung vom Finanzkapital an, die andererseits Dimitroff auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale zuspitzte. (Auch die in den sechziger und siebziger Jahren zeitweilig populäre Theorie vom Staatsmonopolistischen Kapitalismus hat Berührungspunkte mit den Arbeiten des frühen -- allerdings nicht des späten -- Hilferding.)

Am 11. Februar 1941 wurde er von der Vichy-Polizei an die Deutschen ausgeliefert, schon einen Tag später kam er in Gestapo-Haft ums Leben.

Man hört ja neuerdings immer wieder einmal von wertvollen Bestandteilen des sozialdemokratischen Erbes, die es heute zu nutzen gelte. Bei Rudolf Hilferding läßt sich -- trotz seiner Illusionen -- tatsächlich das Eine oder Andere finden.

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Bezug

Das Buch ist beim PapyRossa-Verlag erschienen und umfaßt 147 Seiten. Bestellen können Sie es in jeder Buchhandlung oder beim Verlag.

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  WebbearbeiterIn, 11.02.2002 (erste Fassung: 10.02.2002) Zum SeitenanfangZur StartseiteE-Mail an die Forschungsgruppe